30. SONNTAG im Jahreskreis

 

Evangelium nach Markus (10,46-52)

 

Stellen Sie sich vor: Sie stehen vor Jesus, Auge im Auge, und er fragt Sie: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Was würden Sie ihm antworten? Welche Erwartungen haben Sie an ihn? Was muten Sie ihm zu?

Das war die Frage von Jesus an diesen blinden Mann und dieser mutete Jesus einiges zu, z.B. dass er ihn sehend macht. Denn dieser Jesus ist für ihn ein von Gott Gesandter, der „Sohn Davids“, d.h. - im jüdischen Glauben - der versprochene Retter. Ist Jesus auch für mich ein Retter?

In alten Kulturen haben Blinde oft eine besondere Hochachtung genossen. Sie galten trotz ihrer Blindheit als Seher, die im Grunde tiefer schauen als die übrigen Menschen. Er, der Blinde, sieht in Jesus den versprochenen Retter, von dem schon der Prophet Jesaja im AT gesagt hat, dass mit ihm eine neue Zeit anbricht, in der „... die Augen der Blinden geöffnet, die Ohren der Tauben sich auftun, der Lahme wie ein Hirsch springt, und die Zunge des Stummen jubeln wird“. Er ruft: „Jesus von Nazareth, hab er Erbarmen mit mir“. Wir sagen das in jeder Eucharistiefeier: „Herr, erbarme dich unser“. Meinen wir das, wie dieser Bartimäus?

Dieser blinde Mann sieht in Jesus mehr, als alle anderen, sogar mehr als im Augenblick die Apostel. Es müssen ihnen von Jesus noch die Augen geöffnet werden. Und das wird erst nach Ostern, nach der Auferstehung von Jesus gelingen. Denken wir an die zwei Jünger von Emmaus, die Jesus unterwegs nicht erkennen, sie sind „wie mit Blindheit geschlagen“. Erst beim Abendmahl gehen ihnen die Augen auf, „fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen“. Ist es uns schon „wie Schuppen von den Augen“ gefallen? Haben wir die wahre Bedeutung von Jesus für uns schon eingesehen? „Was erwartest du von mir?“, Fragt Jesus. Was erwarte ich von Jesus? Dass er auch mir die Augen öffnet, dass ich „sehend“ werde? Aber wofür?

Der geheilte Blinde rennt nicht überglücklich nach Hause. Stattdessen zieht er einfach mit Jesus mit, auf dem Weg nach Jerusalem. Es ist noch eine beachtliche Strecke von etwa 23 km, mit einem Höhenunterschied von 1000m. Es wird also noch mühsam. Und in Jerusalem wird er dann die Katastrophe mit Jesus miterleben müssen. Bin ich bereit einen oft mühsamen Weg mit Jesus mitzuziehen, auf dem etwas anders verläuft, als ich mir vorgestellt habe?

Ich muss bereit sein, mir von Jesus die Augen öffnen zu lassen, mich von meinen „Blindheiten“ befreien zu lassen, mein Leben, die Welt, die Wirklichkeit und auch Gott mit anderen Augen zu betrachten. Ich glaube an Jesus, ich habe Vertrauen zu ihm, weil mir durch ihn ein Licht aufgegangen ist und ich entdeckt habe, worauf es im Leben wirklich ankommt, welche die wahren Wertigkeiten in diesem Leben sind. Ich bin zu der Einsicht gekommen, ich sehe, was Jesus für mich bedeutet und ich stelle mich als Christ in seinen Dienst - was sicher nicht immer einfach ist. An Jesus glauben, ihm folgen, sich in seinen Dienst stellen, ist kein Kinderspiel, kein Hobby: Es geht hier um meine Existenz.

„Dein Glaube hat dir geholfen“, sagt Jesus zu dem Geheilten. Mein Glaube an Jesus hilft mir, macht mich sehend. Er öffnet mir die Augen für die tiefere Bedeutung meiner Existenz. „Ich glaube, damit ich verstehe“, hat ein alter Philosoph einmal gesagt. Und ein moderner Dichter formuliert es so: „Menschen, die aus der Hoffnung (auf Jesus) leben, sehen weiter. Sie sind Menschen, die aus der Liebe leben, und sehen deswegen tiefer. Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht.“ 

Das Vertrauen zu Jesus befreit mich von meiner Blindheit, macht mich sehend für die Antwort auf meine letzten Lebensfragen: „Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?“ - „Ich möchte sehen“, sage ich mit dem Blinden. Ich will mir immer wieder, durch den Glauben an Jesus, die Augen öffnen lassen. Immer wieder neu sehen lernen mit Liebe, mit Mut, mit Sorglosigkeit, mit Hoffnung.

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